Lafarge Werk Wössingen: Dank modernisierter Ofenlinie bestens für neue Produkte und alternative Brennstoffe gerüstet 

Am 20.03.2009 wurde der Hauptbrenner der modernisierten Ofenlinie in Wössingen (Bild 1) zum ersten Mal gezündet. Zwei Tage nach dem Ofenstart produzierte die neue Anlage bereits den ersten Zementklinker. ZKG INTERNATIONAL hatte im Verlauf des Projektes mehrfach über das Konzept und die Fortschritte berichtet. Vor dem Umbau gab es in Wössingen zwei Lepol-, d.h. Rostvorwärmeröfen mit den entsprechenden Begrenzungen. Limitierte Einsatzraten für Ersatzbrennstoffe und geringe Spielräume für qualitative Verbesserungen hatten zu der Entscheidung geführt, einen Teilumbau anzugehen. Grund genug, nun nach über einem Jahr Produktionsbetrieb mit Lutz Weber, Werkleiter der Lafarge Zement Wössingen GmbH, vor Ort über die Betriebserfahrungen zu sprechen und ein Resümee über das Projekt zu ziehen.

 

ZKG: Können Sie noch einmal das Gesamtprojekt zusammenfassen?

Lutz Weber: Ziel war es, das Zwei-Ofensystem in ein Ein-Ofensystem umzustellen. Es ging in erster Linie darum, die umweltrelevanten Emissionen zu verringern, die EBS-Rate zu erhöhen und die Produktion zu sichern. Verwirklicht werden sollte dieses Ziel mit einer Trockenanlage mit 5-stufigem ­Zyklonvorwärmer mit Kalzinator und einer Brennkammer
(Bild 2). Es stand von vorneherein fest, dass ein langfristiges Konzept verwirklicht werden sollte, beim dem theoretisch 100% Ersatzbrennstoffe gefahren werden können. Ein neuer Kühler sollte hohe Rekuperationsraten erlauben und so auch zu unserem Ziel beitragen, geringere Energiekosten und Emissionen zu haben. Und mit dem Konzept hatten wir Erfolg. Derzeit benötigen wir ca. 25% weniger Energie für den Anlagenbetrieb. Damit haben wir um ca. 20% geringere CO2-Emissionen. Die Abwärme des Kühlers und die heiße Abluft des Drehrohrofens werden für die Erhitzung des Rohmehls und für verschiedene Trocknungsprozesse im Rahmen der Rohmehlherstellung oder der Zementmahlung verwendet. Auch die Filteranlagen wurden neu geplant, auf dem neuesten Stand der Technik. Dabei konnten wir die bestehenden Filtergehäuse soweit wie möglich weiter nutzen. Ferner setzen wir eine Bypassanlage mit einer Rate von bis zu 10% ein. Als EBS verwenden wir derzeit Fluff (Bild 3), Reifenschnitzel (Bild 4) und Tiermehl. Aber die Anlage war von vorneherein so ausgerichtet, dass besonders beim Brennstoffmix auch in Zukunft eine größtmögliche Flexibilität besteht. Derzeit haben wir Genehmigungen für 60% Ersatzbrennstoffe.

ZKG: Man lernt ja immer auch während eines Projektes. Womit waren Sie zufrieden, was würden Sie nächstes Mal anders machen?

Lutz Weber: Das Projekt ist insgesamt sehr gut verlaufen. Ursprünglich als Turnkey-Projekt gedacht, haben wir die Modernisierung schließlich in Eigenregie, aber mit starken Partnern abgewickelt (s. Box). Wir hatten Verträge mit über 60 Lieferanten. Lafarge kann auf ein profundes technisches Know-how zurückgreifen, so dass wir neben Fachleuten aus dem eigenen Werk auch aus anderen Werken und Technischen Zentren schnell ein hochmotiviertes und -qualifiziertes Projektteam zusammenstellen konnten. Mit A TEC konnte Lafarge einen kompetenten, flexiblen und zuverlässigen externen Partner ins Boot holen.

 

Arbeitssicherheit stand für uns an oberster Stelle. Zeitweise waren 250 Mitarbeiter von Fremdfirmen auf dem Gelände tätig. Nur durch die Umsetzung ei­nes konsequenten Sicherheitsmanagements konnten Unfälle vermieden werden. Und unser Konzept ging auf. Schulungen, tägliche Meetings, vielfältige Schnittstellen zwischen Werk und Fremdfirmen sowie schnelles und vorausschauendes Handeln und eine konsequente Reaktionskette ermöglichten es uns, Unfälle während der Bauphase zu verhindern. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Großprojekt haben wir erfolgreich in unsere Arbeitssicherheitskonzepte und ins Tagesgeschäft integriert. Technisch gesehen war für die Mitarbeiter im Werk besonders die Schulung im Umgang mit Heißmehl wichtig.

Eine besondere Herausforderung war, dass beide Öfen während der Bauphase weiterliefen (Bild 5). In nur 17 Monaten konnten wir das Umbauprojekt abwickeln. Ein Ofen wurde dann abgeschaltet, der andere lief aber über die Startphase der neuen Linie hinaus weiter. Vorteil war, dass wir für die Produktion und Belieferung der Kunden Sicherheit hatten, allerdings war dafür auch ein hoher Organisationsaufwand nötig. Das hat natürlich Ressourcen gebunden. Ich hätte mir gewünscht, dass die mit dem Betrieb der alten Anlage beschäftigten Mitarbeiter noch mehr die Möglichkeit gehabt hätten, über den Tellerrand zu schauen und die Neuanlage im Werden zu begleiten. Beim Bau erhält man Einblicke in Prozesskomponenten, die sich beim späteren Betrieb nur auszahlen können. Allein aus psychologischen Gründen würde ich den Parallelbetrieb in der Übergangsphase beim nächsten Mal in Frage stellen. Denn für das Team wäre es sicherlich besser gewesen, einen klaren Schnitt zu machen und dann mit der neuen Ofenlinie an den Start zu gehen.

ZKG: Welche speziellen Anforderungen stellte das Projekt an das Team?

Lutz Weber: Das Team musste sich mit einer komplett neuen Technologie vertraut machen. Wir haben sehr großen Wert auf die Schulung unserer Mitarbeiter gelegt. Da sollte man keine Kompromisse eingehen. Wir haben zusammen mit unserem Technischen Zentrum ein Trainingskonzept entwickelt und unsere Mitarbeiter theoretisch sowie in anderen Lafarge Werken auch in der Praxis geschult. Insgesamt haben wir unser Team mit über 25000 Trainingsstunden sehr gut auf die neue Produktionstechnik vorbereitet (Bild 6). An dieser Stelle möchte ich unseren Mitarbeitern ein großes Lob aussprechen. Sie haben alle über das gesamte Projekt hinweg ihr Bestes gegeben und waren voller Einsatz und Engagement bei der Sache.

 

Eine weitere Herausforderung in Wössingen war der Umbau auf vergleichsweise engem Raum. Das Baufeld war insgesamt kleiner als ein halbes Fußballfeld. Dazu kam, dass die Produktion und Verladung in der Bauzeit aufrecht erhalten werden mussten. Also war nicht nur ein perfektes Management von Abstell- und Montageflächen für neue Anlagenkomponenten gefragt. Wir mussten auch die Zu- und Abfahrt der täglichen Brennstoff-, Rohmaterial- und Zementtransporte koordinieren. Statusbesprechungen waren an der Tagesordnung.

Aber auch die interne Abstimmung mit unserem Vertrieb war eine Schlüsselaufgabe. Schließlich galt es, den bestehenden Kundenstamm kontinuierlich zu beliefern und auf die neuen Produkte umzustellen. Unser Vertrieb ist frühzeitig proaktiv auf unsere Kunden zugegangen und hat die Vorteile der neuen Produkte vorgestellt. Gemeinsam mit den Produkten aus der alten Linie konnte so ein weicher, fließender Übergang geschaffen werden.

 

ZKG: Welche Betriebserfahrungen konnten Sie bislang sammeln, wo gibt es noch Nachholbedarf?

Lutz Weber: Wir hatten einen fantastischen Start, innerhalb der Lafarge-Gruppe einen der Besten. Das liegt nicht zuletzt an der soliden Vorplanung und dem geballten Know-how, auf das wir in der Planungsgruppe zurückgreifen konnten. Vom ersten Tag an haben wir gesehen, dass die Anlage in jeder Hinsicht hält, was sie verspricht und sehr schnell auf die nominelle Leistung gefahren werden konnte. Auch die nach ein paar Monaten erfahrungsgemäß auftretenden Herausforderungen konnte das Team sehr gut meistern. Letztendlich hat sich herausgestellt, dass der Ofen in seinem Betriebsfenster sehr gut und effizient arbeitet, man dieses Fenster jedoch sehr genau kennen muss. Der alte Lepol-Ofen war sehr gutmütig und erlaubte eine vergleichsweise lange Reaktionszeit. Bei dem neuen Ofen ist die Reaktionszeit sehr viel kürzer, was höhere Anforderungen an den Ofenfahrer stellt. So musste erst quantifiziert werden, welche Änderungen im Rohmaterial sich wie auf die Ofenlinie und damit auch auf das Endprodukt auswirken. Es galt also zu bestimmen, was der optimale Silikatmodul ist, wie die ideale Schmelzphase einzustellen ist, wie sich die Alkalien verhalten. Auch mussten erst einmal Erfahrungen gesammelt werden, wo es Anbackungen gibt, d.h. wo und welche Druckluftkanonen installiert werden müssen.

 Die Kommunikation zwischen neuen und alten Leitsystem-Komponenten hatte auch die eine oder andere Überraschung zu bieten. So war das neue System mitunter zu schnell für das alte, d.h. es wurden vom neuen System bestimmte Betriebszustände sehr schnell weitergeleitet, obwohl es sich nur um sehr kurze Events handelte. Dies zog eine sofortige Reaktion in älteren Leitsystemkomponenten nach sich. Es war nicht leicht herauszufinden, an welcher Stelle der Fehler lag. Die Lösung bestand darin, für bestimmte Prozesse einen Zeitpuffer von wenigen Sekunden einzuplanen.

 

Gerade im ersten Betriebsjahr hatten wir einige Ofenstopps. Das hatte den positiven Nebeneffekt, dass die Anlagenfahrer zu echten Experten im schnellen Wiederanfahren des Ofens wurden. Aufgrund von Erfahrungen in der Startphase haben wir schließlich noch verschiedene Druckluftkanonen versetzt und mechanische Komponenten optimiert, wie z.B. den Eintritt eines Zyklons. Dabei hat sich A TEC immer als guter Projektpartner erwiesen, man stellte sich dort schnell und kompetent auf neue oder geänderte Anforderungen ein. Bedauerlicherweise kam es letztes Jahr während der Optimierungsphase zu einem  überraschenden Staubaustritt. Deshalb wurde die Anlage baulich verändert und um Sensoren ergänzt, so dass wir derartige Vorfälle in Zukunft verhindern können.

 

ZKG: Wie änderte sich die Produktpalette durch die Modernisierung der Ofenlinie?

Lutz Weber: Es war schnell klar, dass wir mit der neuen Anlage besseren Klinker produzieren können, d.h. wir produzieren einen sehr homogenen und hochreaktiven Klinker. Die damit verbundenen hohen Früh- und Endfestigkeiten erlauben es uns beispielsweise, Zemente herzustellen, die den Anforderungen der Beton-Fertigteilwerke sehr gut entsprechen. Wir produzieren Portland-, Portlandhütten- und Portlandkalksteinzemente. Ab 2011 nehmen wir auch Portlandkompositzemente in unser Produktportfolio auf. Nicht immer hängt das Angebot aber allein von den stofflichen Möglichkeiten ab. Zusätzlich zu den Optimierungen an der Neuanlage galt es, sich auch mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen. Im zweiten Halbjahr 2009 ging das Angebot an Hüttensand drastisch zurück, so dass wir an Alternativen arbeiten mussten. Die Alternative für einige Kunden waren Kalksteinzemente. So haben wir, nicht zuletzt forciert durch die Krise, ein gutes Produkt breiter als früher eingesetzt.

 

Mit dem Klinker aus der neuen Anlage konnten wir aber auch neue Produkte entwickeln. So haben wir ein Bindemittel für die Bodenstabilisierung eingeführt, DUR 35 genannt. Weiterhin haben wir einen flugaschehaltigen (B-M) Zement entwickelt, den wir 2011 auf den Markt bringen. Weitere Entwicklungsprojekte laufen derzeit. Diese hätten wir ohne die Anlage und den damit produzierten, hochwertigen Klinker unmöglich angehen können.

 

ZKG: Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft des Werkes aus?

Lutz Weber: Es gibt in der weiteren Umgebung auch in Zukunft sehr vielversprechende Projekte, für die wir Baustoffe liefern können. Auch während der Finanzkrise waren die Absätze
bei uns in Wössingen überwiegend gut. Insofern sehe ich zukünftig eine gesicherte Absatzsituation für unsere Produkte. Unser Ziel ist es, die Zemente mit guter CO2-Bilanz, also CEM II- und CEM III-Zemente, weiter auszubauen. Bei Lafarge Zement haben wir den Anteil der CEM I-Zemente am Produktportfolio in den letzten fünf Jahren bereits um 50% reduziert, eine Entwicklung, die in den nächsten Jahren weitergehen wird.

Das Thema CO2 wird uns auch hinsichtlich alternativer Brennstoffe beschäftigen. In der dritten Zuteilungsphase des Emissionshandels (NAP III 2013 bis 2020) werden die Zertifikate nach dem Prinzip der „best available technology“ vergeben. Das bedeutet, dass die beste verfügbare Technologie als Benchmark zu Grunde gelegt wird. Wer mehr CO2 emittiert, muss entweder Zertifikate zukaufen oder seine Produktionstechnik modernisieren. Unser Werk in Wössingen zählt zu den modernsten und energieeffizientesten Anlagen in ganz Europa, hier verfügen wir über die bestmögliche Technik. Das heißt, Wössingen ist in dieser Hinsicht für die Zukunft sehr gut aufgestellt.

Vielen Dank für das Gespräch und weiter gutes Gelingen mit der neuen Anlage.


Hauptlieferanten

­– A TEC, Austria: Verfahrenstechnik, Basic Engineering, Einzelaggregate für den Vorwärmerbereich (Wärmetauscher, Vorkalzinator, Bypass-Filter gegen Chlor)

­­– Hilgefort GmbH, Dinklage: Detailengineering (Detailstatik des Stahlbaus, Behälterstatik, Fertigungszeichnungen für die Apparate), Montage für Stahl und Apparatebau im gesamten Vorwärmerbereich

­­– FLSmidth Pfister GmbH: Wägetechnik

­­– IKN GmbH, Neustadt a.R.: Pendelrost-Klinkerkühler

­­– Ventilatorenfabrik Oelde GmbH: Ventilatoren

 

Montage-Unternehmen:

­­– Oswald Metzen GmbH, Bitburg 

­­– Hilgeford GmbH, Dinklage

­­– Weimarer Spezialmontagen und Industrieservice GmbH, Weimar

­­– C + K Gotthardt und Knipper Ingenieurgesellschaft mbH, Schleiden-Gemünd

 

Lokale Baufirmen und Kunden

­­– Rendler Bauzentrum GmbH, Oberkirch: Hauptauftragnehmer für ­ge­-samtes Baugewerk

­­– Harsch Bau GmbH & Co. KG, Bretten: verschiedene Betonagen, Verwaltungsgebäude

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