Vom Familienunternehmen zur Aktiengesellschaft

150 Jahre Engineering von Polysius – ein Portrait

Das Jahr 2009 ist für Polysius ein besonderes Jahr, die Firmengründung durch Andreas Ernst Gottfried Polysius (Bild 1) liegt 150 Jahre zurück. Der am 17.11.1827 in Dessau geborene Sohn eines herzoglichen Oberschäfers verdient sich das Geld für die Ausbildung zum Schlosser mit Schafehüten. 1859 eröffnet Andreas Ernst Gottfried Polysius eine eigene Werkstatt, die Geburtsstunde der ­Firma ­Polysius. Bis zur Produktion von Zement­anlagen ist es aber noch ein weiter Weg, den Andreas Ernst Gottfried Polysius gar nicht selbst miterleben wird. Besonders zu erwähnen sind die von Gottfried Polysius gebauten Geldschränke (Bild 2) und sein 1875 geschmiedetes Tor zum herzoglichen Schloss in Dessau (siehe S. 36 oben).


Nach dem Tode des Firmengründers geht das Unternehmen auf die zweite Generation über: die Söhne Max und Otto Polysius erkennen in der neu entstandenen Zementindustrie ein Gewinn bringendes Arbeitsgebiet und ebnen so den Weg zu einer Weltfirma. Otto Polysius schreibt 1888: „Vor Jahresfrist habe ich eine neue Art von Mahlgängen konstruiert, welche durch ihre immense Leistungsfähigkeit hauptsächlich in der Zementmüllerei so bedeutende Erfolge gehabt haben, dass ich in verhältnismäßig kurzer Zeit bereits 24 Stück in Auftrag nehmen konnte.“


Das wirtschaftliche Tempo hält an. 1890 liefert die G. Polysius Eisengießerei und Maschinenfabrik bereits 70 Mahlgänge, unter anderem in die Schweiz und nach England (Bild oben). Dazu kommen Transmissionen und Reibungskupplungen. ­Nächster Schritt ist die Eroberung des Weltmarkts. Chicago ist der Schauplatz der World‘s Columbian Exposition im Mai 1893. In der weißen Stadt aus Stahl und Gips wird das 400-jährige Jubiläum der Entdeckung Amerikas gefeiert. 70 000 Aussteller sind gekommen. In der Maschinenhalle präsentiert Max ­Polysius die ganze Bandbreite der Dessauer Produkte (Bild 3). Über die Zerkleinerungsmaschinen heißt es im „Amtlichen Bericht“: „So hatte G. Polysius, Dessau, vier Unterläufermahl­gänge in verschiedenen Größen ausgestellt, welche zum Vermahlen von harten Materialien wie Zementklinker, Kalkstein, Thon, Gips, Chamotte, Schwerspath, Schmirgel, Thomas­schlacken, ­Knochen, Farben, Salz, Alaun, Erze, Ziegelbrocken etc. dienen.“


Das neue Jahrhundert startet für die Firma G. Polysius mit einer glänzenden Auftragslage. Ein zweites Werk mit direktem Anschluss an die Eisenbahn wird gebaut. Insgesamt sind jetzt fast 400 Arbeiter beschäftigt. 1907 wird die erste komplette Zementfabrik nach Ägypten geliefert. Ein Jahr später folgt China. Der Durchbruch zum Weltmarkt ist geschafft.


Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 stoppt diese Erfolgsgeschichte. Viele Geschäftsbeziehungen sind jäh unterbrochen. Statt Zementfabriken und Mühlen werden jetzt Kanonen gebraucht. Nach Ende des Ersten Weltkrieges gelingt es, die frühere Weltmarktsteilung zurückzuerobern. Auslands­devisen helfen, Wirtschaftskrise und Inflation zu überbrücken. 1922 werden Verwaltung und Konstruktionsbüros ausgebaut, ein neues Labor und eine eigene Versuchsanstalt eingerichtet. Die Zementanlagen aus Dessau sind jetzt ein Exportschlager in die ganze Welt. 1927 wird eine Tochtergesellschaft in den USA gegründet: Polysius Corporation, Bethlehem, Pennsylvania/USA.


Ende der 20er Jahre bekommen Max und Otto Polysius tatkräftige Unterstützung. Ihre Söhne Otto, Gustav, Walter und Gottfried Karl Polysius treten in die Firma ein. Am 01.07.1928 wird die Offene Handelsgesellschaft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Anteile bleiben im Besitz der Familie. Schon mit der Konstruktion des ersten Drehofens 1904 investiert die Firma G. Polysius intensiv in Forschung und Entwicklung. Ab 1927 revolutioniert Dr. Georg Lellep zusammen mit Polysius, mit dem LEPOL-Verfahren die herkömmliche Zementherstellung. Der LEPOL-Ofen - benannt nach den Ingenieuren Lellep und Polysius - reduziert den Brennstoffverbrauch um ein Drittel.


Doch 1929, mitten in der Weltwirtschaftskrise, gestaltet sich die weitere Vermarktung des LEPOL-Ofens zunächst schwierig. Auch die G. Polysius AG, Dessau, gerät in eine schwere, lang anhaltende Krise. 1933 kommen die Nationalsozialisten an die Macht. Die Wirtschaft wird durch staatliche Programme angekurbelt. Pro Jahr werden jetzt allein über 40 LEPOL-Öfen in alle Welt ausgeliefert (Bild 4).


Mit dem deutschen Überfall auf Polen 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg. Viele internationale Geschäftsbeziehungen existieren plötzlich nicht mehr. Das Dessauer Werk muss auf Rüstungsproduktion umstellen. Statt Zementanlagen werden jetzt Maschinenteile für die Luftwaffe und das Lok- und Panzerprogramm geliefert. Gegen Ende des 2. Weltkrieges 1944 wird Dessau in Schutt und Asche gelegt. Die Produktion kann – trotz großer Beeinträchtigungen – weiterlaufen. Nach Kriegs­ende wird das Werk durch die sowjetischen Besatzungsbehörden enteignet. Die Geschichte der Firma G. Polysius verläuft in Zukunft geteilt: Die ehemalige Polysius AG, Dessau, wird 1946 in eine Sowjetische AG umgewandelt und nach 1953 als VEB Zementanlagenbau geführt. In Neubeckum entwickelt sich aus der 1946 gegründeten Westpol GmbH die Polysius GmbH.


Gustav Polysius erlebt im März 1945 die Luftangriffe auf ­Dessau. Nach Kriegsende besetzen erst amerikanische, dann sowjetische Truppen Dessau. Er hofft, das Unternehmen für die Familie retten zu können. In Briefen an die Militärverwaltung betont er: Niemand in der Familie sei in der NSDAP gewesen, das Unternehmen gehöre allein der Familie und keiner NS-Organisation.


Das Werk soll Reparationen in die UdSSR liefern. Ein Schwiegersohn von Max Polysius, Dr. Curt Prüssing, gründet in der Westzone eine Einkaufsgesellschaft: die Westpol GmbH. Durch diese Zulieferung kann Gustav Polysius die ersten Zementanlagen in der UdSSR errichten. Gustav Polysius bleibt in Dessau, will nicht in die Westzone übersiedeln. Im Juli 1946 ist es zu spät. Die G. Polysius AG wird enteignet und Gustav Polysius verhaftet. Er kommt in ein sowjetisches Speziallager im ehemaligen KZ Buchenwald. Dort stirbt er am 09.03.1947 an Hunger und Entbehrungen.


„Trotz der Enteignung des Werkes in Dessau lebt Polysius in der Westpol GmbH in Neubeckum weiter. Sobald wir können, werden wir wieder liefern“, schreibt die Westpol GmbH 1946 an Kunden und Geschäftsfreunde in aller Welt. Unter schwierigsten Verhältnissen startet die junge Firma in Neubeckum. Zwei Räume im Souterrain der Spiekerstraße 14 sind das erste Büro für vier Mitarbeiter (Bild 5). ­Improvisationstalent ist gefragt. Tische, Stühle und eine Schreibmaschine werden geliehen. Papier, Bleistifte, Radiergummis sind oft nur auf dem Schwarzmarkt zu bekommen.


1948 werden größere Büroräume in der ehemaligen Neu­beckumer Apotheke angemietet, gleichzeitig beginnt der Neubau in der Graf-Galen-Straße 17, dem heutigen Firmensitz (Bild 6).


Dr. Curt Prüssing sichert nach Kriegsende die Fortführung der Firma im Westen. Mit großem diplomatischen Geschick manövriert er die junge Firma durch alle Klippen der Nachkriegszeit. Am 25. Februar 1949 beschließt die Gesellschafter-Versammlung, den Firmennamen Westpol GmbH in Polysius GmbH umzuwandeln. Es fehlen zunächst noch alle Voraussetzungen, um Geschäfte durchzuführen. Trotzdem gelingt es bis zum Frühjahr 1947, einige kleinere Ersatzteilaufträge in Deutschland auszuführen. Außerdem können die Komplettierung und Montage eines LEPOL-Ofens, der während des Krieges an ein süddeutsches Zementwerk zum Teil ausgeliefert worden war, bewerkstelligt werden. Im August des gleichen Jahres meldet sich ein süddeutsches Zementwerk, das ebenfalls einen LEPOL-Ofen aufstellen will. Die Bezahlung soll mittels Lieferung von Schnittholz erfolgen. Als der erste Holzwaggon in Neubeckum eintrifft, ist das ein Ereignis von unvorstellbarer Tragweite. Mit Unterstützung der Gemeindeverwaltung von Neubeckum bekommt Polysius ein Grundstück an der Graf-Galen-Straße zur Verfügung gestellt.


Die finanziellen Verhältnisse bleiben äußerst beengt. Die Währungsreform hat ganze 12 000 DM übrig gelassen. Als am Vorweihnachtstag des Jahres 1948 Gehälter und Weihnachtsgeld ausbezahlt sind, weiß man noch nicht, wovon die Januar-Gehälter bezahlt werden sollen. Die unsichere Lage veranlasst einige Mitarbeiter, Abwerbungsversuchen nachzugeben. Es gelingt, aus der Veräußerung der letzten freien Vermögenswerte dem Unternehmen weitere 18 000 DM Kapital zuzuführen. Dies bedeutet die Rettung der Firma.


Im Jahre 1953 wird eine eigene kleine Werkstatt errichtet und die Zusammenarbeit mit Dr. Georg Lellep durch einen Lizenzvertrag erneuert. Das Geschäft erfährt damit einen ungeahnten Aufstieg. Der Grundbesitz verdoppelt sich, und 1957 wird ein neues Forschungszentrum gebaut. Die Firma ­Polysius GmbH beschäftigt jetzt einschließlich ihrer Tochtergesellschaften in England und Frankreich rund 700 Mitarbeiter.


Die weltweite Präsenz wird durch die Gründung von Tochtergesellschaften erhöht. Bis 1971 ist ­Polysius in England, Frankreich, Spanien und Südafrika durch Tochterge­sellschaften vertreten. Die technische Entwicklung und die einhergehende Bewältigung von komplexeren und größeren Aufträgen ­(Bilder 7–11) übersteigt zusehends die Kapitalkraft der Firma. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Familie Polysius entscheidet, die Geschicke des Hauses in kapitalkräftigere Hände zu legen. 1971 übernimmt die Fried. Krupp GmbH die Kapitalmehrheit der Firma und schafft die Voraussetzung für die weitere positive Entwicklung. Polysius ist es jetzt möglich, Großprojekte in aller Welt durchzuführen, die es ohne die Kapitalkraft des neuen Eigners nicht hätte bewältigen können. Eine eindrucksvolle Zahl von Neuanlagen entsteht in aller Welt. Weitere Tochtergesellschaften in außereuropäischen Ländern werden gegründet.


Mit der Wiedervereinigung Deutschlands und der Öffnung Osteuropas tritt ein enormer Baubedarf zutage, der sich in einer steigenden Zementnachfrage niederschlägt. Völlig veraltete Zementanlagen müssen modernisiert bzw. – wie im Werk Bernburg – neu gebaut werden. Dabei steht für Polysius der Schutz der Umwelt, die Steigerung der Energieeffizienz, die Substitution natürlicher Ressourcen durch alternative Einsatzstoffe im Vordergrund. 1992 folgt die Integration der ­Polysius AG in die Krupp-Anlagenbau-Sparte. Die Fusion mit dem Thyssen-Konzern zur ThyssenKrupp AG setzt einen weiteren entscheidenden Meilenstein: Polysius ist jetzt in dem internationalen Unternehmensbereich ThyssenKrupp Technologies präsent, um die Herausforderungen des neuen Jahrtausends zu meistern.


Durchgeführte Akquisitionen verstärken die Marktpräsenz in erheblichem Maße. Die Geschäftsfelder von Polysius werden erweitert und stabilisieren das Unternehmen gegenüber Konjunkturschwankungen. Die bewegte Geschichte der Firma ­Polysius stellt für jede Generation eine besondere Verpflichtung dar. Es gilt, sich der Tradition bewusst zu sein und innovativ die Herausforderung der Zeit anzunehmen. Viele Generationen haben für diesen Anspruch Beispiele geliefert.

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