125 Jahre Zukunft

Haver & Boecker
„Hätte jemand meinem Vater in den ersten Jahren seiner Unternehmertätigkeit gesagt, dass sein Betrieb noch einmal Filialen im Ausland haben würde, dann hätte er wohl nur ungläubig gelächelt“, heißt es in den Lebenserinnerungen von Carl Haver jun. (1884 – 1976), die der Sohn des Firmengründers Carl Haver in den 1960er Jahren schrieb. Am 25.08.1887 gründete dieser zusammen mit seinem Vetter Eduard Boecker im märkischen Hohenlimburg, dem dama­ligen deutschen Zentrum der Drahtzieherei und Drahtweberei, das Unternehmen ­Haver & Boecker. Angefangen hat­te alles mit Drahtgewebe für Grubenlampen. Später waren Sackverschlüsse für ­Zementsäcke ein erfolgreiches Produkt.

Als sich dann die heute üblichen Sacktypen entwickelt haben, musste umgedacht werden. Der Entschluss war schnell gefasst. Man kaufte sich Lizenzen für Befüllmaschinen für die neuen Säcke und entwickelte sich auf diesem Gebiet weiter. 2012 feiert Haver & ­Boecker das 125-jährige Jubiläum mit einem Festakt, einem Tag der offenen Tür in der Drahtweberei und weiteren ­Aktionen. Die Maschinenfabrik führt im Anschluss an den Firmengeburtstag die ­Haver Technology Days durch. Die ZKG ­INTERNATIONAL hat bei ­Dr. Reinhold Festge, Geschäftsführender Gesellschafter von Haver & Boecker, nachgefragt.

 

ZKG: Haver & Boecker blickt auf 125 Jahre Firmengeschichte zurück. Was war bzw. ist das Geheimnis Ihres Erfolges?
Reinhold Festge: Langfristige Entscheidungen und Flexibilität sind und waren immer die Grundlagen unseres Handelns. Wenn Sie die Geschichte von Haver & Boecker Revue passieren lassen war nur der Gründer weniger als 25 Jahre in der Pflicht. Die drei letzten Generationen haben bis zu 50 Jahre Zeit gehabt, die Firmengeschicke zu lenken. Das hat zu einer nachhaltigen und stabilen Entwicklung geführt. Die Firma hat es dabei immer verstanden, Industrietrends zu identifizieren und mitzugehen. Das hat ja bereits zur Gründungszeit zum Erfolg beigetragen. Allerdings ist die Drahtweberei heute mit der damals gar nicht mehr zu vergleichen. Heute ist es ein hochmodernes Unternehmen mit einem breiten und hochtechnischen Produktspektrum, von der Automobilindustrie bis zur Weltraumtechnik. Wir werden auch in Zukunft kein Massen-, sondern ein Premium-Anbieter bleiben.

 

ZKG: Wie sichern Sie auch zukünftig eine positive Entwicklung ab?
Reinhold Festge: Kundenbindung und Marktnähe sind uns ganz wichtig. Und das verwirklichen wir mit Niederlassungen in den jeweiligen Ländern bzw. Kontinenten. Und natürlich entwickeln wir auch marktspezifische Produkte. Wir sind gerade dabei für Indien und China moderne Logistiksysteme zu entwickeln. Alles Premiumprodukte! Die Inder und die Chinesen werden automatisieren müssen und dann wollen wir ganz vorne dabei sein. Mit mittlerweile über 50 Tochtergesellschaften haben wir ein sehr gutes Verständnis für die Bedürfnisse eines Kunden vor Ort. Die Marktplatzierung ist uns in Brasilien sehr gut gelungen, dort haben wir einen Marktanteil von 98 %. In Indien sind wir noch nicht so weit, werden uns aber unseren Teil des Marktes sichern und Lösungen anbieten, die andere so schnell und gut nicht liefern können. In Indien sind derzeit noch viele Produzenten eher Volumenanbieter. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass jedes sich entwickelnde Land sich nach einiger Zeit darauf besinnt, auch qualitativ hochwertige Produkte herzustellen und effizient zu arbeiten.

 

ZKG: Wie und wo sehen Sie die zukünftige Entwicklung?
Reinhold Festge: Wir werden Gas geben bei den Neuentwicklungen. Zum einen z.B. bei den Produkten für die Aufbereitungstechnik. Da erschließen wir uns derzeit ganz neue Felder mit dem Pelletieren und dem Reinigen von kontaminierten Rohmaterialien. Zur Weiterentwicklung beim Pelletieren haben wir derzeit von Siemens den ersten Forschungsauftrag erhalten. In der Verpackungstechnik kommen wir mit neuen Lösungen für bestimmte Märkte und neue Produkte. Wir intensivieren unser Engagement in der Lebensmittelindustrie, werden aber auch die bereits existieren Marksegmente und –positionen weiter ausbauen. Unsere Erfahrung ist, dass der Kunde der Haver & Boecker kauft auch H & B haben will. Da nützt es nichts, günstigere und weniger leistungsfähige Produkte anzubieten, die den Kundenanforderungen dann nicht so wie ein Premiumprodukt gerecht werden.

 

ZKG: Wie integrieren Sie Kundenwünsche in technologische Entwicklungen?
Reinhold Festge: Unser Motto ist: Mit dem Kunden für den Kunden. Der ADAMS® ist dafür das Paradebeispiel. Gemeinsam mit Lafarge England wurde der Wunsch nach einem wasserresistenten, außenlagerungsfähigen Sack umgesetzt. Das war zu der Zeit für Zement undenkbar. In einer Entwicklungszeit von drei bis vier Jahren haben wir mit dem Kunden analysiert, was machbar ist und haben für den Kunden eine Maschine entwickelt, die jetzt auch anderen Interessenten und in anderen Industriebereichen zur Verfügung steht. Siebmaschinen für Ölsande sind ein anderes Beispiel. Partnerschaftliche gemeinsame Prozesslösungen sollen es sein!

Aber auch ohne direkten Anlass vom Kunden entwickeln wir weiter, um den Kundenanforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Wir haben viel Geld ausgegeben, eine neue Waage und eine Waagenelektronik zu entwickeln. Ziel ist dabei allerdings eher die „Verschlankung“ der Prozesskette und mehr Komfort und Intelligenz der Anlagentechnik.

 

ZKG: Im Prinzip könnten Sie ab Zementmahlanlage die komplette Logistik abbilden?
Reinhold Festge: Ja, das ist auch die neue Strategie von uns. Wir sind aufgestellt, dass wir für die Kunden EPC-Projekte abwickeln können. Die Haver & Boecker-Gruppe hat z. B. jetzt durch IBAU HAMBURG den ersten vollautomatischen Versandterminal auf Malmö gebaut. Kein Arbeiter wird zur Bedienung benötigt. Das sind dann Lösungen, wo die Technik zuverlässig und auch dauerhaft zur Verfügung steht. Da hat Haver & Boecker dann für IBAU HAMBURG die Systemsteuerung entwickelt.

Die neuen Möglichkeiten der Technik haben bislang sogar dazu geführt, dass Interessenten über den Bau von Zementwerken nachdenken, die bislang noch keinen Zugang zur Industrie hatten. Das Geld ist da, aber das Fachwissen fehlt. Für diesen Fall bieten wir gemeinsam mit einem Großausrüster aus der Region an, das Werk zu bauen und auch z. B. für die nächsten 5 Jahre zu betreiben. Wir sind auch bereit, Betreibermodelle für Werke gemeinsam mit einem Kunden zu entwickeln, wenn gewünscht.

 

ZKG: Wie sieht die Zukunft von Haver & Boecker aus?
Reinhold Festge: Mit Haver & Tyler hat sich die Firma für die gemeinsame Entwicklung und Bearbeitung industrie­übergreifender Märkte aufgestellt. Haver & Tyler setzt sich aus der Haver Niagara GmbH, einem nunmehr eigenständigen Firmenteil in Münster, Haver & Boecker Latino­americana, Brasilien, und W.S. Tyler, Kanada, zusammen. Und wir haben die Haver-Gruppe erst kürzlich noch weiter verstärkt. Mit der Unterschrift unter den Vertrag am 29.05.2012 in Paris hat die Haver & Boecker Holding GmbH 100 % der Anteile der Firma Newtec Bag Palletizing von der Newtec International Group S.A.S. übernommen. Wir sind jetzt in der Lage, zusammen mit den Firmen IBAU ­HAMBURG, Feige Filling und Behn + Bates komplette ­Lager-, Verpackungs- und Verladesysteme für Schütt­güter und Flüssigkeiten in Premiumqualität aus einer Hand zu liefern. Mit dieser Verstärkung fühlt sich die Haver & ­Boecker-Gruppe gut gerüstet, die Marktanteile besonders im indischen Markt mit europäischen Qualitätsprodukten weiter zu erhöhen. Zum 25.08.2012 werden auch meine Söhne, Florian Festge und Dr. Fabian Festge, zusammen mit den Kindern von meinem Partner Walter Haver als Gesellschafter in die Gesellschaft aufgenommen. Sie sind allerdings bereits heute in wichtige Entscheidungen involviert, schließlich müssen sie diese dann in die Zukunft tragen.

 

ZKG: Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum, und danke für das Gespräch.

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